Eine verpasste Chance
Die Rainforest Alliance hat nach langer Verzögerung einen neuen Zertifizierungsstandard für Kakao vorgelegt. Doch die Forderungen der Zivilgesellschaft wurden nicht erfüllt: Auch in Zukunft verzichtet die weltgrößte Siegelorganisation im Kakaosektor auf existenzsichernde Mindestpreise. Dagegen zeigt eine Initiative der Regierungen von Ghana und der Côte d’Ivoire Wirkung. Ein Artikel aus dem aktuellen Südlink 194 von Johannes Schorling.
Schokolade mit Nachhaltigkeitssiegeln ist aus den Supermarktregalen nicht mehr wegzudenken. Lag der Anteil zertifizierten Kakaos in Deutschland 2011 noch bei drei Prozent, sind es mittlerweile 72 Prozent. Das Siegel kommt vor allem von der Rainforest Alliance, der nach ihrer Fusion mit UTZ Certified mit Abstand größten Zertifizierungsorganisation im Kakaosektor. In Deutschland zertifiziert die Organisation mit dem grünen Frosch im Logo mittlerweile 55 Prozent des Kakaos. Zum Vergleich: Fairtrade, die größte Siegelinitiative des Fairen Handels, zertifiziert etwa zehn Prozent des Kakaos in deutschen Süßwaren.
Der neue Zertifizierungsstandard, den die Rainforest Alliance nach der Fusion vor zwei Jahren ankündigte, wäre also eine gute Gelegenheit gewesen, die strukturellen Probleme im Kakaoanbau anzugehen. Denn die Mehrheit der Kakaobäuerinnen und -bauern in Westafrika lebt noch immer deutlich unter der Armutsgrenze. An diesem Problem hat die steigende Menge an zertifiziertem Kakao in den letzten Jahren wenig geändert – ein Hinweis darauf, dass die großen Nachhaltigkeitssiegel ihrem Namen bisher nicht gerecht werden.
Bei Fairtrade hat immerhin ein Umdenken eingesetzt: Die Siegelinitiative hat ihren Mindestpreis für Kakao um 20 Prozent erhöht und erstmals einen Referenzpreis für existenzsichernde Einkommen berechnet. Das VOICE-Netzwerk kritisiert zwar, dass er deutlich zu niedrig kalkuliert wurde. Und er wird bisher auch noch nicht an die Erzeuger*innen gezahlt. Zumindest aber hat Fairtrade, auch wenn es dafür noch keinen klaren Zeitplan vorgelegt hat, erklärt, die Lücke zu existenzsichernden Preisen in den nächsten Jahren sukzessive zu schließen.
Anders die Rainforest Alliance, von der fast alle großen Schokoladenhersteller nennenswerte Mengen an zertifiziertem Kakao beziehen. Unternehmen wie Nestlé, Mars oder Ferrero haben in den letzten Jahren Nachhaltigkeitsversprechen abgegeben, für deren Erfüllung sie auf die Rainforest Alliance angewiesen sind. Im Herbst 2019 forderte INKOTA deshalb mit der E-Mail-Aktion „Rainforest Alliance, sei kein Frosch!“, dass die Zertifizierungsorganisation existenzsichernde Mindestpreise in ihrem neuen Standard verankert.
Nach mehrmaliger Verschiebung war es im Sommer 2020 endlich so weit. Doch das Fazit fällt aus zivilgesellschaftlicher Sicht bescheiden aus: Auch künftig verzichtet die Rainforest Alliance auf garantierte, geschweige denn existenzsichernde Mindestpreise. Damit bietet sie den Bäuerinnen und Bauern in Zeiten niedriger Weltmarktpreise auch künftig kein Sicherheitsnetz. Immerhin muss bei der Rainforest Alliance ab Juli 2022 erstmal eine Mindestprämie direkt an die Bäuerinnen und Bauern gezahlt werden. Mit 70 US-Dollar pro Tonne Kakao fällt diese angesichts der Größe der Herausforderungen im Kakaoanbau jedoch deutlich zu niedrig aus.
Zum Vergleich: Fairtrade garantiert eine Prämie von 240 US-Dollar pro Tonne. Rainforest Alliance betont zwar, die Unternehmen zur Zahlung höherer Prämien ermutigen zu wollen. Nach den Erfahrungen mit den Grenzen freiwilliger Ansätze im Kakaosektor wäre es jedoch sinnvoller, von vornherein eine höhere Mindestprämie festzulegen. In Zukunft müssen die Schokoladenhersteller neben der Cash-Prämie künftig auch eine Investitionsprämie bezahlen. Wie hoch diese Prämie ausfällt, die den Kakaokooperativen für Investitionen in die Infrastruktur und verbesserte Anbaumethoden dienen soll, soll erst 2021 festgelegt werden.
Trotz solcher kleinen Verbesserungen fällt das Fazit insgesamt enttäuschend aus. Die Rainforest Alliance hat eine wichtige Chance verpasst, die Lage der Kakaobäuerinnen und -bauern zu verbessern. Zugleich untergräbt sie die Bemühungen anderer Zertifizierer, die Lücke zu existenzsichernden Einkommen zu schließen. Denn solange es „billigere“ Nachhaltigkeitssiegel gibt, werden die Unternehmen nicht bereit sein, höhere Kakaopreise mitzutragen.
Ein Anzeichen dafür ist, dass der Umsatz an Fairtrade-zertifiziertem Kakao in der Côte d’Ivoire um elf Prozent zurückgegangen ist, seit Fairtrade den Mindestpreis erhöht hat. Auch bei der Entscheidung von Nestlé, für seine KitKat-Riegel in Großbritannien in Zukunft keinen Fairtrade-Kakao mehr zu verwenden, sondern zur Rainforest Alliance zu wechseln, steht der Verdacht im Raum, dass die Preispolitik der Zertifizierer eine Rolle gespielt haben könnte.
Insgesamt gibt die Schokoladenindustrie bei der Preisfrage weiterhin ein trauriges Bild ab: Zwar bekennen sich die großen Schokoladenhersteller mittlerweile zu existenzsichernden Einkommen als Ziel aller Nachhaltigkeitsinitiativen. Doch jenseits einzelner Pilotprojekte gibt es bisher keine ernsthaften Versuche, diese auch tatsächlich zu erreichen. Der Verweis der Unternehmen auf ihre Konkurrenzsituation greift zu kurz. In kaum einem anderen Sektor gibt es so viele Sektorinitiativen wie in der Kakao- und Schokoladenindustrie, die ein koordiniertes Handeln ermöglichen würden, wenn der Wille da wäre.
Kakaoanbauländer trotzen der Macht der Industrie
Für höhere Kakaopreise hat stattdessen eine neue Initiative der Regierungen von Ghana und der Côte d’Ivoire gesorgt. Die beiden wichtigsten Kakaoanbauländer produzieren zusammen rund 60 Prozent der weltweiten Ernte – und haben sich ihre strategische Position auf dem Weltmarkt zunutze gemacht. Seit der aktuellen Erntesaison verlangen beide Länder für ihren Kakao einen Preisaufschlag von 400 US-Dollar pro Tonne, das sogenannte „Living Income Differential“. Nach anfänglichem Widerstand hat sich die Industrie bereit erklärt, den Preisaufschlag zu zahlen.
Und die Initiative zeigt Wirkung: Zum Oktober 2020 wurde der staatlich garantierte Kakaopreis in der Côte d‘Ivoire um 28 Prozent und in Ghana um 21 Prozent erhöht. Zivilgesellschaftliche Akteure in Ghana begrüßten diesen wichtigen Schritt und mahnten an, dass der neue Preis im vollen Umfang bei den Erzeuger*innen ankommen muss. Zwar wird die Lücke zu existenzsichernden Einkommen durch die Preiserhöhungen noch nicht geschlossen. Dennoch haben die Regierungen mit ihrer Initiative in der Preisfrage bisher mehr erreicht als alle großen Schokoladenhersteller und Zertifizierer zusammen
Johannes Schorling koordiniert bei INKOTA die Kampagne „Make Chocolate Fair!“.
Dieser Artikel ist im Südlink 194 "Digitalisierung: Was passieren muss, damit niemand zurückbleibt" erschienen.